In der Ruhe liegt die Kraft - Gassi gehen (2)


In meinem letzten Artikel zum Thema Gassi gehen habe ich Dir ja schon einige Tipps gegeben, wie Du Eure Spaziergänge für Dich und Deinen Hund sinnvoller gestalten kannst. Hier möchte ich das Ganze noch etwas konkretisieren, vorallem für die, die Ihr Leben mit eher unsicheren, aufgeregten und/oder reaktiven vierbeinigen Begleitern teilen.

Wie die Überschrift dieses Artikels schon sagt, möchte ich hier darauf hinweisen, dass auch beim Spaziergang Ruhe eine hohe Priorität haben sollte. Zu viel Aufregung und Erregung führen nicht selten zu unerwünschten Verhalten und "aus dem Ruder" laufenden Situationen. Daher schaue bitte beim nächsten Gassi gehen mal genau darauf, ob und wie oft Du mit Deinem Hund Pausen einbaust. Sei es zum Schnüffeln, für kleine Schmuseeinheiten, um einfach mal auf einer Bank auszuruhen und/oder ein paar Spaziergänger, Rehe, Kühe oder was auch immer zu beobachten.

Gerade wenn Dein Hund in Gegenwart bestimmter Auslöser (bspw. Pferde oder Hunde oder andere "Auslöser") oder in bestimmten Situationen (z.B. am Waldrand, in der Dämmerung, auf einer Wiese, ...) sehr aufgeregt ist, solltest Du solche Situationen oder Begegnungen gezielt ruhig aufsuchen.

 

Was heißt das konkret?

 

Woran erkenne ich, dass mein Hund aufgeregt ist? - In vielen Fällen erkennt man dies an einer dauerhaft oder häufig gespannten Leine. Auch Beschwichtigungs- und/oder Stressanzeichen sind ein wichtiges Indiz; dazu zählen u.a. Gähnen, sich über das Maul lecken, intensives Gras fressen, unruhiger/hektischer Blick, Hecheln, kaum bis keine Reaktion auf vermeintlich bekannte Signale usw.

Ein guter Indikator ist immer auch ein Schnüffelspiel: Streue Futter in die Wiese oder stecke ein paar Leckerli-Bröckchen in einen Baumstamm. Kann Dein Hund sich darauf konzentrieren, diese zu suchen und zu fressen? Dann ist er noch (bedingt) konzentrationsfähig; kann er dies schon nicht mehr, hat er vermutlich zu viel Stress. (Dies ist natürlich nur ein Beispiel und es können mehrere Faktoren hineinspielen. Für eine konkrete Aussage zu Deinem Hund muss dies ggf. individuell betrachtet werden.)

 

Was soll ich tun, wenn mein Hund aufgeregt ist? - Diese Frage lässt sich nicht prinzipiell beantworten. Ganz generell gilt: Stress abbauen. In vielen Fällen bedeutet dies, die Situation verlassen und über z.B. mehr Distanz Ruhe ermöglichen. Während Dein Hund so sehr mit seinem Stress bzw. dem stressauslösenden Reiz beschäftigt ist, ist sein Hirn selten in der Lage ohne eine Veränderung der Außenbedingungen runterzufahren oder gar "sich daran zu gewöhnen". Man hört immer mal wieder Aussagen wie "da gewöhnt der sich schon dran" oder "da muss er halt mal durch". So einfach ist dies aber nicht, wenn der Hund schon nicht mehr ansprechbar oder konzentrationsfähig ist. Viele "Besserungen" treten hier aus Sicht des Menschen dadurch ein, dass der Hund irgendwann aufgibt, er geht in die sogenannte innere Kündigung und "erträgt" seine Situation bis er vom Mensch den Ausweg daraus gewährt bekommt. Dies führt aber sicher nicht zu mehr Vertrauen und/oder einer besseren Beziehung (vgl. Artikel: Beziehung, Vertrauen und Bindung). In den meisten Fällen führt ein solches Vorgehen eher zu einer Verschlechterung der Situation, der Hund gewöhnt sich eher daran, dass sein Mensch in unangenehme Situationen bringt, ihm keinen Ausweg/keine Hilfestellung bietet und ggf. sogar noch "blöd" zu ihm wird durch gespannte Leinen oder Schimpfen.

Nun kannst Du Deinem Hund allerdings Hilfestellung geben, mit seiner Aufregung umzugehen. Für den Umgang mit stressauslösenden Begegnungen kannst Du diese gezielt in einer ausreichenden Distanz (so, dass Dein Hund sich nicht aufregt/aufregen muss) trainieren und die Distanz langsam über Dein Training verkleinern. Bei Aufregung und Stress ohne konkret trainierbaren Auslöser kannst Du Deinem Hund durch Entspannungs-fördernde Aktivitäten oder Hilfsmittel helfen. Kann Dein Hund noch fressen? Prima, Kauen und Schlecken hilft ihm, nimm also gezielt einen Kauknochen, einen Leckerli-Zopf, einen gefüllten Kong o.ä. mit. Kann Dein Hund Dinge tragen? Super! Gib ihm einen Dummy/ein Spielzeug, dass er knautschen kann. Lässt Dein Hund sich gerne anfassen? Kleine Entspannungsmassagen, Körperkontakt oder auch bestimmte Techniken aus dem TTouch wirken oft Wunder. Hier gibt es noch viele weitere Möglichkeiten und es wäre für den eh schon länger als geplanten Artikel zu viel, diese alle aufzuzählen.

Aber auch über gezieltes Training kannst Du Deinen Hund unterstützen, nämlich über die sogenannte konditionierte Entspannung (mehr dazu in einem späteren Artikel oder in unseren Relax-Kursen).

Was Du jetzt konkret tun kannst!

Schaffe Routine für Dich und Deinen Hund, Routine gibt Sicherheit und Sicherheit hilft Stress zu reduzieren. Suche Dir eine "Standard-Runde" oder gehe gar keine Runden, sondern Wege hin & wieder zurück. Dann hat Dein Hund nicht ständig neuen Input, sondern kommt auf dem Rückweg, wenn vermutlich schon eine gewisse Zeit vergangen ist und sein Hirn schon so einiges verarbeiten durfte, wieder an "bereits bekannten" Stellen vorbei. Baue gezielte Pausen ein. Such Dir "Fixpunkte" oder "Ruheinseln". Das können Bänke sein, an denen Du Dich bequem hinsetzen kannst. Nehmt Euch im Herbst eine Decke mit und Dein Hund kann dort ein kleines Suchspiel machen, eine oder ein paar kleine, ruhige Aufgaben bekommen, ihr könnt gemeinsam die Umgebung beobachten, Schmusen oder was auch immer Euch gefällt. Nimm einfach mal den Gang raus :)

(Wie Du auf den Bildern vielleicht schon siehst, sind unsere "Fixpunkte" gerne Dinge zum Anlehnen oder drauf springen; Steine, Bäume, Bänke, etc. Findet sich quasi überall!)

Aber er muss sich doch bewegen!

Wenn Du nun Angst hast, der Bewegungsdrang Deines Hundes wird hierbei nicht vollständig befriedigt oder Dein Hund ist nicht ableinbar und somit durch die Leine schon sehr häufig am Rennen und sich austoben gehindert, solltest Du dies etwas losgelöst von "normalen" Spaziergängen betrachten. Schnall Dir einen Jogging-Bauchgurt mit Expander um und sichere Deinen Hund am Brustgeschirr und geh mit ihm Joggen! Hier musst Du in der Regel keine 10 km laufen, damit Dein Hund ausgepowert ist. Wenn Du einen eingezäunten Garten oder sonst wie Zugang zu einem eingezäunten Gelände hast, prima! Lass Deinen Hund dort Hund sein und flitzen (wenn er das möchte, beachte aber bitte meine Tipps zu Hundefreilaufflächen).

Ansonsten lass Dir gesagt sein, in vielen (den meisten) Fällen begegenen mir überforderte Hunde, die ein zu hohes Aktivitätslevel haben und zu wenig ruhigen Ausgleich (bedenke, Dein Hund benötigt ca. 16 Stunden Ruhe am Tag; je aufregender es war, desto mehr Ruhe benötigt Dein Hund zum verarbeiten). Und gerade Schnüffeln, lastet sowohl geistig und körperlich viel mehr aus, als es vielen bewusst ist ;)

Für Dich und Deinen Hund jedenfalls ist Qualitätszeit sicherlich mehr Wert, als tagtägliches durch-die-Gegend-Gezerre mit Frust an beiden Enden der Leine.

Wenn Du noch Fragen hast oder weitere Informationen wünschst, darfst Du Dich gerne mit mir in Verbindung setzen. Ich wünsche Dir und Deinem Hund viel Freude bei Euren "neuen" Spaziegängen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 7
  • #1

    Astrid (Samstag, 27 Juni 2020 14:04)

    Hallo, dieser Bericht spiegelt unsere Spaziergänge mit unserer 1,5 Jahre alten Münsterländer Mix Dame wieder.
    Ich bin wirklich kurz vorm verzweifeln und werde mir die Vorschläge hier zu Herzen nehmen. Ich hoffe dadurch wird es für beide Seiten entspannter �.
    Vielen Dank
    LG

  • #2

    Dagmar (Donnerstag, 18 März 2021 14:37)

    Hallo, unsere 3 Jahre alte Pointer/Setter Hündin ist immer gestresst beim Gassigehen und will einfach nur wieder zurück nach Hause. Auf der Hundewiese oder auf anderen Freilaufflächenist sie total entspannt und zufrieden. Das war schon immer so. Sie hat nie schlechte Erfahrungen gemacht, ist aber insgesamt schreckhaft. Was kann man tun?

  • #3

    Helga Dobner (Montag, 20 September 2021 10:09)

    Ich habe eine 10 Jahre alte mittelgroße Hündin aus dem Tierschutz seit Januar d. J. Sie ist sehr lieb, läuft wunderbar an der Leine, kann allein bleiben und fährt gern Auto.
    Einziges Problem ist beim Gassigehen. Schon wenn sie von weitem einen Hund sieht, fängt sie an zu knurren. Will ich sie ablenken oder mehr zur Seite gehen, hört sie nicht auf zu knurren . Wenn die dann näher kommen versucht sie sogar auszuscheren und auf den anderen Hund mit knurren und Gebell zuzulaufen. Nun bin ich nicht ganz hundeunerfahren, da ich 15 Jahre lang einen Golden Retriever hatte, aber mit dieser Situation komme ich noch nicht zurecht. Was kann ich noch tun, damit dass Gassigehen entspannter wird. Ich bin keine Hektikerin und kann durchaus Ruhe bewahren, aber diese Situation ist einfach neu für mich. Ich bin täglich im Wald unterwegs und suche mir schon einsame Wege, bin mir aber im Zweifel, ob Vermeidung solcher Situationen der richtige Weg ist, oder muss ich einfach viel mehr Geduld haben.

  • #4

    Doris Adam (Mittwoch, 05 Januar 2022 12:31)

    Bin nicht mehr in der Lage unseren 3 Jahre alten Rüden, er ist seit seiner 8te Woche bei uns. Wir haben uns aber getrennt u. versuchen den Hund gemeinsam zu betreuen. Wir leben auch alle drei zusammen in einer 2 Zi. Wohnung, wobei draussen viel Grün zum Gassigehen ist. Herrchen kommt gut mit dem Hund klar, hat aber wenig Zeit. Ich, sein Frauchen verfalle in leichte Depression, weil ich mit Hundebegegnungen nicht klar komme. Ich kann dem Hund keine Sicherheit vermitteln u. er tickt total durch. Fixieren, in die Leine Preschen u. tierisch bellen, bzw. wenn er frei ist, den anderen Hund belästigen.

  • #5

    Jörg (Mittwoch, 04 Mai 2022 07:09)

    Super Artikel, toll geschrieben, sehr verständlich.
    Wir haben ei 18 Monaten alten Hund aus dem Tierschutz der genau in dieses Beispiel passt. Wir haben uns genau den Plan so wie hier beschrieben ausgearbeitet gehabt und sofort umgesetzt. Schon nach dem dritten Tag ist er was ruhiger sein Umfeld gegenüber geworden, Rückschritte gibt es immer wieder die von Tag zu Tag weniger werden. Es liegt noch einiges vor uns, ich kann nur sagen die Zeit, Geduld und Ruhe sind auf unsere Seite.

  • #6

    Jule (Mittwoch, 31 August 2022 07:17)

    Ich hab seit 4 Tagen einen 6Monate alten Hund. Ist nicht mein erster, eigentlich der 4te. Aber Erziehung ist jetzt auch 16 Jahre her. Sie war die ersten Monate nur im Tierheim in Rumänien und jetzt ist hier komplette Reizüberflutung beim Gassi. Klar, sie ist ja erst 4 Tage da, aber man will ja auch, dass sich der Hund wohl fühlt.
    Nur vom Lesen her hilft dieser Artikel schon. Klingt ja auch alles logisch. Hab mir Deine Seite schon mal zu den Favoriten gespeichert und auch ich werde das beherzigen :-)

  • #7

    Kristin L. (Dienstag, 06 September 2022 11:42)

    Ich habe 6 Hunde, 4 aus dem Tierschutz aus Südeuropa ( darunter einen mit Angstsyndrom ) und 2 von sogenannten Befruchtungsunfällen , eine Goldi Dame und Alaska Husky, die anderen sind Mischlinge klein und mittelgroß :-) ich kann nur sagen, zu viel Beschäftigung ist niemals gut für Hunde. Hier wird Wert auf Ruhe und Entspannung gelegt auch auf unseren täglichen Spaziergang. Nicht auf die Strecke kommt es an (in km) sondern auf die Qualität wie man den Spaziergang verbringt. Wir haben immer wieder Ruhepunkte , mal der Waldsee , mal ein Stein mitten in Blaubeerbüschen, mal ein Baumstumpf , ich wohne in Norwegen und lebe mitten im Wald. Im Sommer gehen wir eine Tour am Tag , da sie da mehr auf dem großen Waldgrundstück über den Tag sind und in der Sonne dösen , oder mal spielen oder nach Mäusen buddeln. Sonne dösen ist allerdings das liebste was sie tun :-) dennoch hören und riechen sie was in der Umgebung vor sich geht. Und das in Ruhe. � im Winter gehe ich 2x am Tag eine Tour aber insgesamt nicht länger wie 2 std ( zusammen) dabei auch wieder einfach irgendwo hinsetzen Hunde frei lassen , kauknochen kauen , gemeinsam die Natur genießen. Mein kleiner mit dem Angstsyndrom, reagiert auf Menschen mit Angst und zeigt dies durch intensives bellen. Dennoch kommt es sehr selten vor das ich hier mal auf einen Mensch treffe. Ich geh mit ihm und damit allen , da ich immer mit dem gesamten Rudel spazieren gehe, ruhig und gelassen aus dieser Situation raus. Und bekomme ihn damit auch schnell beruhigt. Ich handhabe das so das niemand etwas muss was er nicht mag, oder ihn gar angst einjagt , nur damit der Hund gesellschaftlich gesehen alles Anforderungen entspricht. Finde ich dumm. Jeder Hund hat seine individuelle Persönlichkeit und darauf geht es einzugehen und nicht zu verändern. Kein ignorieren oder gar Strafen für verhalten. Beziehung und Bindung und Empathie ist das Schlüsselwort. Ruhe und genügend Schlaf ist der Schlüssel für einen entspannten Hund. Meine schlafen eigentlich fast nur oder dösen 18-19 std in 24h. Wenn ich da manch völlig überdrehten Hund mancher Bekannter sehe, die keine Sekunde still liegen können, die wenn sie mal stehen bleiben draußen anfangen zu jaulen oder zu bellen , Jaaa das ist das Zeichen eines überforderten Hundes und da ist der Schlüssel nicht noch mehr Beschäftigung sondern viel mehr Ruhe. Und einem Hund das wieder beizubringen was der Mensch ihm verlernt hat , nämlich sein natürliches Ruhebedürfnis ist ein langwieriger Prozess. Ich kann allen nur den Rat geben, schämt euch nicht für euren Hund, wenn er an der Leine einen anderen anbellt , oder mal am Zaun meldet das was vor sich geht auf dem Grundstück. Oder er nicht Autofahren mag oder oder oder. Geht auf ihn ein, versteht ihn, bietet ihn Alternativen , zwingt ihn nicht in Situationen in dem er sich offensichtlich unwohl fühlt, lernt seine Sprache zu verstehen und zu sprechen, entspannt euch und hört auf den Hund in Gesellschaftliche Vorstellungen zu pressen. Jeder ist anders und niemand muss irgendwas tun was er nicht mag. Gebt den Dingen Zeit , und strahlt Ruhe und Sicherheit aus! Weniger ist immer mehr ! Lg.