Über den Zusammenhang von Wohlbefinden und Verhalten

 

Es gibt viele Faktoren, die das Verhalten von Hunden beeinflussen. Ein Punkt, der von uns TrainerInnen immer wieder gleich am Anfang erfragt und abgeklopft wird, ist die Gesundheit bzw. das allgemeine Wohlbefinden des Hundes. Die WHO definiert Gesundheit als ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ Weiter definiert sich Wohlbefinden als „…ein individueller oder kollektiver Zustand oder Prozess, sich selbst, andere und entsprechende Lebensumstände als positiv zu erleben.

 

 

 

Aber was bedeutet Wohlbefinden genau? Welche Faktoren haben Einfluss auf das Wohlbefinden unserer Hunde?

 

Wohlbefinden ist die Grundvoraussetzung für eine hohe Anpassungsfähigkeit an die täglichen Herausforderungen. Körperliche Unversehrtheit, erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse, Emotionen, die Vorhersehbarkeit von Ereignissen, ein fairer und belohnungsbasierter Umgang im Alltag, sowie die Kontrolle über den eigenen Zustand des Individuums wirken sich positiv oder eben auch negativ auf das Wohlbefinden und somit auch auf das Verhalten aus.

 

 

Wie groß der Einfluss der körperlichen Unversehrtheit und somit auch des Wohlbefindens wirklich ist, hat uns unser Hund die letzten Tage eindrücklich gezeigt. Wir leben in einem Mehrfamilienhaus am Stadtrand einer bayrischen Großstadt zusammen mit einem Hund, den man wohl landläufig als reaktiv bezeichnen würde. Sowohl Begegnungen mit Menschen als auch mit Artgenossen stellen für ihn eine große Herausforderung dar. Damit hat Cookie grundsätzlich schon viel zu verarbeiten, wenn wir einfach nur mal eine Runde um den Block gehen. Jede einzelne Begegnung, die er gut und mit Unterstützung und Abstand ruhig meistern konnte, nimmt ihm „Löffelchen“ aus seiner Schublade. Bei dieser Annahme geht man davon aus, dass jedem Lebewesen nur eine begrenzte Anzahl von metaphorischen Löffeln zur Verfügung steht, um den Alltag zu bewältigen, ohne die Kontrolle über die eigenen Impulse zu verlieren. Die Löffel sind am Morgen noch alle da und werden durch verschiedene Herausforderungen im Alltag verbraucht (wie Begegnungen, Schmerz, Stress, überforderndes, schlecht strukturiertes oder strafbasiertes Training). Aufgeladen werden sie wieder durch Entspannungsphasen über den Tag. Ist der Hund jetzt allerdings in seinem Wohlbefinden gestört, funktioniert das Aufladen der Löffelchen nicht mehr richtig. Der Schmerz verursacht chronischen Stress und hindert den Hund daran, richtig zu entspannen. Jeder von uns kennt das. Mit fiesen Kopf- oder Rückenschmerzen entspannt Energie tanken ist kaum möglich. Das setzt auch bei uns Menschen die Reizschwelle deutlich niedriger.

 

 

Was war aber nun passiert? Vor drei Tagen war ich noch richtig begeistert, da Cookie so tolle Fortschritte macht gerade. Er kann meistens mit genug Abstand (20-30 m) an anderen Hunden vorbei gehen, fremde Menschen im Hausflur konnten passiert werden, Besuch und Hunde in der Wohnung, die uns nicht sehr oft besuchen, wurden mit etwas Aufregung zwar, aber ohne Aggression empfangen. Alles Herausforderungen, an denen wir schon sehr lange trainieren und bei denen Cookie noch viel Hilfe benötigt. Aber gerade die letzte Zeit sind die Fortschritte wirklich merklich.

 

Die letzten beiden Tage waren dann ganz plötzlich wieder anstrengend. Cookie war hochgradig nervös draußen, fast wieder panisch bei Anblick des Lieferanten an der Ecke, der schon zehn Meter vor uns in einen Hauseingang abgebogen war. Aufgestellte Rückenhaare die ersten 500 m des Spaziergangs, nur aufgrund der Gerüche anderer Hunde. Bei der kleinsten Kleinigkeit hat er ausgelöst, Menschen wurden wieder fixiert. Die Leine war nur auf Zug. Die Ruhephasen waren kurz und er hat kaum Kontakt zu uns gesucht.

 

Wir waren uns sicher, irgendetwas stimmt nicht. Da wir im Tagesablauf nichts verändert haben, und auch weiter nichts auffällig war, blieb letztlich nur der Aspekt der Gesundheit. Aber was war los? Gelenkschmerzen? Rückenschmerzen? Bauchschmerzen? Wir wissen, wie empfindlich er sein kann. Wenn der Mantel im Winter nicht richtig geschlossen war und ihn der Klettverschluss gestört hat, zeigte er ähnlich Rückschritte bei der Impulskontrolle. Uns war aufgefallen, dass er sich viel an einer Stelle am Rutenansatz leckt. So weit so normal für ihn… aber beim genauen Hinschauen haben wir eine Zecke gefunden. Die Bissstelle war entzündet und scheint sehr geschmerzt zu haben. Nachdem wir sie entfernt hatten, ging es ihm schlagartig besser. Die Schlafphasen sind wieder länger geworden, er geht wieder relativ gerne raus, wirkt entspannter und sucht auch unsere Nähe.

 

 

Gesundheit und Wohlbefinden sind ein gigantischer Einflussfaktor, der auf keinen Fall unterschätzt werden sollte. Ich möchte jedem ans Herz legen, seinen Blick für den Hund und seine Gesundheit zu schulen, nicht gleich an sich und seinem Training zu zweifeln oder gar gefrustet sein, wenn der Hund plötzlich vermeintliche Rückschritte macht. Das Reflektieren des Alltags kann da helfen: War die Wanderung gestern vielleicht zu anstrengend und der Hund hat Muskelkater? War das Training zu intensiv? Hat der Hund eventuell ein noch unerkanntes orthopädisches Problem oder Kopfschmerzen? Auch Zahn- und Ohrenschmerzen sollten nicht vernachlässigt werden, auch oder gerade weil sie von außen kaum ersichtlich sind. Häufig hilft es schon, ein paar Tage für Ruhe und Entspannung zu sorgen, die Spaziergänge zu verkürzen und auf Spiele mit dem Hundekumpel zu verzichten. Hilft das nicht, sollte gerade bei ganz plötzlich auftretenden Verhaltensänderungen an die Schmerzproblematik gedacht werden und im Zweifel immer auch von einem/einer TierärztIn abgeklärt werden.